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Low-Carb ohne Kalorienzählen

Was bringt den Diabetes zur Rückbildung? Ist es einfach die Kalorienreduktion oder sind es die niedrigeren Insulinspiegel als Folge einer Kohlenhydratreduktion?

In den aktuellen Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft DDG gibt es kein eigenes Kapitel zur Rückbildung des Typ 2-Diabetes. Es heißt in der Einleitung lediglich: „Gewichtsreduktion bei übergewichtigen und adipösen Menschen mit Typ-2-Diabetes unterstützt die Verminderung des vaskulären Risikos, steigert das Selbstwertgefühl, die Lebensqualität, und es kann in der Frühphase eines Typ-2-Diabetes zu einer Remission kommen.“

„Es kann … zu einer Remission kommen“ – ein wirklich bemerkenswerter Satz, dann das klingt fast so als sei die Rückbildung des Diabetes ein unerwünschtes Ereignis. Haben manche Diabetologen möglicherweise deshalb Bedenken, weil Ihnen die Patienten abhandenkommen könnten?

Mein britischer Kollege David Unwin, der @lowcarbGP, kommentierte jüngst süffisant, dass Patienten im Beratungsgespräch über die sogenannte „Number needed to treat“ NNT aufgeklärt werden sollten, also über die Anzahl von Menschen, die ein bestimmtes Medikament einnehmen müssten, um ein Ereignis wie beispielsweise einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu verhindern.

Bei Blutdruckmitteln oder Cholesterinsenkern liegt diese NNT oft in einem Bereich von 20-100, was im Gesundheitswesen als effizient gilt. Die NNT für die Diabetesrückbildung liege dagegen in seiner Praxis bei gerade mal 2: Wenn er zwei Patienten zum Nutzen der kohlenhydratreduzierten Ernährung beraten habe, hätte einer seinen Diabetes zur Rückbildung gebracht, ohne noch Medikamente dafür zu benötigen.

Dennoch gibt es noch immer „Experten“, die Vorbehalte gegen eine kohlenhydratreduzierte Ernährung bei Typ 2-Diabetes hegen. Als Gegenargumente bringen Sie zumeist vor, dass man den Zuckerstoffwechsel mit jeder Ernährung verbessern könne, solange die Patienten abnehmen würden. Außerdem komme es bei Low-Carb-Ernährung in der Regel zu einem gesteigerten Verzehr gesättigter Fette, und die seien infolge einer Steigerung des LDL-Cholesterins gefährlich für das Herz.

Als Leser*innen das Prevention First Journals wissen Sie bereits, dass die Verbesserung des Zuckerstoffwechsels bei einer Umstellung auf Low-Carb nachweislich innerhalb weniger Tage und somit bereits deutlich vor einer relevanten Gewichtsabnahme einsetzt. Und Sie wissen auch, dass die „gesättigten Fette“ zum einen keine einheitliche Kategorie sind, sondern differenziert betrachtet werden sollten. Zum anderen sind gesättigte Fette für Diabetiker*innen im direkten Vergleich allemal besser als Zucker oder schnell resorbierbare Kohlenhydrate mit hohem glykämischer Index.

Dennoch setzt sich in der „Fachwelt“ die Kunde von der Überlegenheit von Low-Carb, die wir bei Prevention First Menschen mit gestörtem Zuckerstoffwechsel bereits seit 2003 vermitteln, nur sehr langsam durch. Wenn „die üblichen Verdächtigen“ wie David Ludwig von der Harvard-Universität, die Arbeitsgruppe von VIRTA Health oder andere Low-Carb Experten wie Jeff Volek oder Eric Westman neue Studien veröffentlichen, dann unterstellt man Ihnen oft Voreingenommenheit und eine einseitige Sichtweise, egal wie gut die Studien sind.

Umso besser, dass nun eine völlig unabhängige, dänische Arbeitsgruppe an der Diabetesambulanz der Universitätsklinik Odense in einer randomisierten Studien gezeigt hat, was eine Low-Carb Ernährung ohne Kalorienbeschränkung Typ 2-Diabetiker*innen bringt.

73 Patient*innen mit einem Typ 2-Diabetes von weniger als 5 Jahren Dauer meldeten sich auf den Aufruf in Zeitungen hin zur Teilnahme an der Studie. In einem 2:1-Verfahren wurden Sie zu zwei Dritteln auf eine Gruppe mit Beratung zur Low-Carb Ernährung (20% Kohlenhydrate, 50-60% Fett, vom und 20-30% Eiweiß) und zu einem Drittel auf eine Kontrollgruppe mit Beratung nach den aktuell gültigen dänischen Ernährungsleitlinien (50-60% Kohlenhydrate, 20-30% Fett mit weniger als 10% gesättigten Fettsäuren und 20-25% Eiweiß) ausgelost.

Die Teilnehmenden sollten sich satt essen und keine Kalorien einsparen, um abzunehmen. Eine Gewichtsreduktion war explizit kein Ziel der Studie. Sie wurden auch nicht zu sportlichen Aktivitäten beraten, sondern sie sollten ihre bisherigen Gewohnheiten unverändert beibehalten, was mit Fragebögen überprüft wurde.

Im Durchschnitt waren die Teilnehmenden bereits 5 Jahre zuckerkrank. Ihr Langzeit-Blutzuckermesswert HbA1c, der den durchschnittlichen Blutzuckerverlauf der letzten 2-3 Monate widerspiegelt, lag im Mittel bei 7,3%. Und die meisten Patienten nahmen ein oder zwei Tabletten zur Blutzuckersenkung ein, 10% nahmen drei oder mehr Tabletten, und 7% spritzten bereits Insulin. Grundsätzlich sollten die Teilnehmenden während der 6-monatigen Studiendauer ihre bisherige Medikation unverändert fortsetzen.

Zum Start, nach drei und nach sechs Monaten wurden umfangreiche Messungen (Gewicht, Bauchumfang, Körperfettanteil, Fettverteilung und Muskelmasse mit der DEXA-Methode) und Laborbestimmungen vorgenommen, um sämtliche Veränderungen und die Unterschiede zwischen den Gruppen im Verlauf zu dokumentieren.

In der Low-Carb-Gruppe reduzierten die Teilnehmenden den Kohlenhydratanteil vom Ausgangswert von 42% der Kalorien auf 13% nach drei und sechs Monaten. Sie steigerten den gesamten Fettverzehr von 38% auf 64% der Kalorien und den Verzehr von gesättigten Fetten von 25 auf 44 g/Tag. Mit Acceloremetern (Beschleunigungssensoren) wurde überprüft, dass in beiden Gruppen keine Veränderung des durchschnittlichen Bewegungsverhalten erfolgte.

Primärer Endpunkt war die Veränderung des Zuckerstoffwechsels nach drei und sechs Monaten: Das HbA1c sank in der Low-Carb Gruppe nach 3 Monaten um 0,8% auf durchschnittlich 6,5%. Diese Reduktion wurde auch bis zum Studienende gehalten. In der Kontrollgruppe gab es keine Verbesserung.

Anzumerken ist, dass etliche der Patienten in der Low-Carb Gruppe ihre Blutzuckermedikation reduzierten oder absetzten, weil sie bei den Blutzucker-Selbstmessungen relativ niedrige Blutzuckerwerte festgestellt hatten. Eine echte Hypoglykämie (= Unterzuckerung) kam allerdings in beiden Gruppen nicht vor. Der HOMA-Index als Maß für die Insulinresistenz (verminderte Insulinwirksamkeit) wurde in der Low-Carb Gruppe, anders als in der Kontrollgruppe, ebenfalls signifikant verbessert.

Obwohl eine Gewichtsreduktion nicht das Ziel war, nahmen die Diabetikerinnen in der Low-Carb Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe 4 kg an Gewicht ab, verloren 5 cm an Bauchumfang und reduzierten die Körperfettmasse um 2,2 kg. Die Cholesterinwerte und der Blutdruck veränderten sich nicht. Es gab in der Low-Carb Gruppe auch keinen Anstieg des LDL-Cholesterins, der bei der Kritik an der Low-Carb-Ernährung immer wieder angeführt wird.

Fazit der dänischen Autor*innen: Eine nicht-kalorienbeschränkte Low-Carb-Ernährung mit einem hohen Fettanteil und reichlich gesättigten Fetten hat positive Effekte auf den Zuckerstoffwechsel und die Körperzusammensetzung bei Typ 2-Diabetes. Sie verschlechtert im Hinblick auf Cholesterinwerte und Blutdruck nicht das Herz-Kreislauf-Risikoprofil. Insofern ist die Verminderung des Kohlenhydratanteil auf 10-25% der Kalorien eine effektive und sichere Ernährungstherapie bei Typ 2-Diabetes.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Gram-Kampmann EM et al., Effects of a 6-month, low-carbohydrate diet on glycaemic control, body composition, and cardiovascular risk factors in patients with type 2 diabetes: An open-label randomized controlled trial. Diabetes Obes Metab. 2022;24:693–703. https://doi.org/10.1111/dom.14633